Das Bedürfnis nach Behandlung
SALVE-Ausgabe Sommer 2014

Das Bedürfnis nach Behandlung

Es gehört zum medizinischen Alltag, dass Medikamente verschrieben werden. Ob jede therapeutische Intervention sinnvoll auf einer Diagnose basiert, wird meist gar nicht hinterfragt. Ist denn jeder Erkältung sofort medikamentös zu begegnen? Muss denn Fieber sofort gesenkt werden? Die Werbung und der Gang zum Mediziner machen uns das oft genug glauben. Am anderen Ende des Spektrums stehen unbelehrbare Symptomverschlepper. Gehen wir der Behandlungsbedürftigkeit auf
den Grund.

Um diesem Thema auf den Grund zu gehen, kann man erst einmal die Definition von Gesundheit für sich festlegen, damit man sagen kann, wo Krankheit beginnt und somit auch Behandlungsbedürftigkeit besteht. Die Weltgesundheitsorganisation
(WHO) beschreibt dies als „einen Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen“. Diese Aussage gliedert sich in zwei sehr interessante Aspekte. Einmal eines ganzheitlichen Wohlergehens, welches sofort an den Ärztespruch denken lässt: „Wie Sie sind gesund? Dann wurden Sie nur nicht richtig untersucht!“ Und die zweite Kernaussage, der Negation von offensichtlicher Krankheit, welche vor allem den Aspekt des geistigen und sozialen Wohlbefindens nochmals abrundet.

Reflektiert man diese Aussage, könnte man schnell zu der Annahme geraten, dass es diesen Zustand gar nicht gibt. Wobei es ja auch kranke Menschen gibt, die eine ehrlich glückliche Ausstrahlung haben. Um an dieser Stelle nicht sofort in den philosophischen, bzw. esoterisch/spirituellen Bereich abzudriften, wenden wir uns täglichen Beobachtungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu. Dies soll aber im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass diese Welten nicht ebenfalls eine wichtige Rolle spielen.

Krankheit im Kontext verstehen

Satteln wir also das Pferd von vorne auf und schauen uns das Thema Krankheit genauer an. Damit werden ja gerne Erreger (Bakterien, Pilze, Viren, Parasiten) in Zusammenhang gebracht. Der ganze Planet besteht aus weit mehr dieser scheinbaren Widersacher, als dass es höher organisierte Lebensformen gibt. Selbst in unseren eigenen Bäuchen leben etwa 10 mal mehr Bakterien, als unser Körper Zellen besitzt. Wir leben also seit Urzeiten mit einer Vielfalt an Kleinstlebewesen
zusammen.
Um in dieser Umwelt zurecht zu kommen und gegen gefährliche Erreger gewappnet zu sein, hat uns die Natur mit einigen Tricks gesegnet. Schon während der Schwangerschaft genießt das Ungeborene den Schutz der Mutter, nicht zuletzt mittels plazentagängiger Antikörper. Während der natürlichen Geburt wird der optimale Grundstein für die Symbiontenbesiedlung und damit auch für das Immunsystem gelegt. Vielfältige Mechanismen sorgen in den kommenden ersten Lebensjahren dafür, dass das Immunsystem lernt Freund von Feind zu unterscheiden und nach Enthemmung des spezifischen Immunsystems später dann auch zielsicher bösartige Keime zu eliminieren.
Wichtig hierbei ist also der allmähliche Lernprozeß, der sich auf allen Ebenen abspielt, uns sicher auf das leistungsfähige Erwachsenenalter vorzubereiten. Dass hierzu auch Phasen gehören, wo also aktiv gegen einen Erreger reagiert wird, sollte klar sein. Im Bewußtsein, dass hier ein natürlicher Vorgang passiert, stellt sich nun die Frage, was genau wäre dabei wirklich krank und damit behandlungsbedürftig?

Vor allem dem heranwachsenden Menschen wird durch voreilige Antibiotikagaben die Chance genommen, einen Vorteil aus diesem Immuntraining zu ziehen. Zudem ist es leider immer noch erwähnenswert, dass Antibiotika bei viralen Infekten kontraindiziert sind und oftmals gar kein Erregernachweis erfolgte. Die Bakterien haben ebenfalls die Gabe zu lernen und werden ihrerseits resistent. Zudem leidet die hohe Zahl unserer Unterstützer im Darm unter diesen Interventionen, was auch negative Effekte auf unsere Immunleistung hat. Resultat: Das irritierte System wird mit der akuten Situation nicht fertig und schlägt Wege ein, die zu einer Chronifizierung führen, die sich oftmals mit Hautausschlägen (u.v.m.) einen Weg in unsere Wahrnehmung bahnen. Aus naturheilkundlicher Sicht würde ich besonders diese Resultate als Krankheit definieren.

Praxis

Vor jede Behandlung gehört eine Diagnose, die der individuellen Situation sinnvoll angepasst und sicherlich in den Feinheiten auch therapeutenabhängig ist. Heißt die Diagnose bspw. Fieber während eines katarrhalischen Infekts, bleiben weitere Fragen zu klären, bevor der Rezeptblock gezückt wird. Die weitere Vorgehensweise sollte also vom Alter des Patienten, dem allgemeinen (Ernähruns-/etc.)Zustand und der Vorgeschichte abhängen. Im Idealfall verhält sich das Fieber bereits als
beste Behandlungsmöglichkeit und versetzt den Patienten in die Lage den Infekt abzuwehren, einen Immunschutz zu erwerben und gestärkt aus dieser Situation herauszugehen.
Gerade der plakative „Allgemeinzustand“ verrät dem geerdeten Menschen doch, ob hier ein schwerwiegender Fall vorliegt, der Sorgen lässt. Medizinisches Wissen ergänzt diesen Eindruck um die Einschätzung der Fieberkurve, Trinkmenge, ggf. Krankheitsverlauf bei Erregernachweis, etc. Damit sollte klar sein, dass weder jedes Fieber unterdrückt, noch unbeachtet bleiben darf.
Ein weiteres Beispiel für die Diagnose „krank“ und dem Einsatz von naturheilkundlichen Arzneien ist die vielfach angewendete Gabe von Arnika bei noch so kleinen Stürzen, bspw. auf dem Kinderspielplatz. Das Arzneimittelbild der Materia Medica verrät Arnika als hilfreich bei „Überbelastung, Überbeanspruchung; Nach traumatischer Verletzung“ mit der Eigenschaft des Patienten „überempfindlich, ruhelos“ zu sein. Dieser Zustand entspricht einem frühen Schock mit hochakuten Abwehrreaktionen, bis hin zur überwältigenden Ohnmacht. Letzteres entspricht dann schon eher dem Arzneimittelbild von Opium. D.h., liegt diese Diagnose nicht vor, ist die geschenkte Zuwendung und Aufmerksamkeit wohl das primäre Wirkmittel. Problematisch kann es hier werden, wenn der Griff zur homöopathischen Potenz gehäuft auftritt und der eingenommene Reiz unsinnige Antworten auslöst.

Die Diagnose sollte also einer Behandlung vorn angestellt und durchaus hinterfragt werden. Während akute Krankheiten besonders naturheilkundlich toleriert, aber überwacht werden, rufen chronische Leiden am deutlichsten das Behandlungsbedürfnis hervor. Beim Aufarbeiten von Altlasten in solchen Fällen kommt es gerne wieder zu akuten Momenten, die in der Naturheilkunde aber sehnsüchtig erwartet werden. Kommt der Patient doch endlich raus aus festgetretenen Bahnen in eine reaktive Phase.
Von einer Behandlungsresistenz spricht man, wenn es einfach kein Ansprechen auf die Behandlung gibt, oder die Einsicht zur Behandlung erst gar nicht besteht. So kennt wahrscheinlich jeder einen Nachbarn, oder Mitarbeiter, der jeden Tag von seinem Leid zu berichten weiß, aber kaum ernsthafte Versuche unternimmt, an der Situation etwas zu ändern. Es mag sogar sein, dass beide erwähnten Fälle denselben Hintergrund haben. Man spricht auch vom „sekundären Krankheitsgewinn“, da das Leid auch schätzenswerte Vorteile mit sich bringt. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass sich bspw. ein Elternpaar mit Tränen in den Augen bei mir für ihren Sohn entschuldigten, der auf die Behandlung verzichten mochte, weil er kurz vor der Bewilligung der Frührente stand (mit Ende 20). Ähnlich verhält es sich mit Patienten, die unbedingt noch einen Termin am selben Tag brauchen, um dann unverrichteter Dinge von Dannen zu ziehen, da der Heilpraktiker keine Krankmeldung an die Kassen ausschreiben kann.

Spirituell bedürftig

Krankheit als Weg ist mittlerweile fast allgemein anerkannt. Tritt man von allen Dogmen und anerzogenen Werten etwas zurück, erkennt man in der Ruhe, wie der Schmerz am Ego nagt. Also dient der ganze Prozess der Überwindung desselben. Wer auf dem Weg bewußt geht, entscheidet selbst, welche Hilfe für ihn am notwendigsten ist. Allerdings wohnt dieser Weisheit die Krux des Bewußtseins inne. Denn Unwissenheit schützt bekanntlich vor Schaden nicht, was gerade im Umgang mit unseren Kindern klar wird und dem Erwachsenen als Spiegel dienen kann. Ähnlich verhält es sich mit „Mein Körper holt sich, was er braucht“. Wieviel reflektiertes Bewußtsein in diesem Satz steckt, muss wohl von Fall zu Fall entschieden werden.

Dienliches aus der Heilpraxis

Die Natur hält viele Möglichkeiten bereit auf krankhafte Zustände einzuwirken und dem Patienten unter die Arme zu greifen. Es gibt Mittel, die antibiotische Eigenschaften haben, welche die direkt Stoffwechselvorgänge beeinflussen und weitere die feinstofflicher Art sind. Sinnvoll ausgewählt können akute und chronische Erkrankungen kurativ, bzw. supportiv behandelt werden. Der falsche Einsatz kann aber auch zur Verschleppung und Vertiefung der Problematik führen.
In der homöopathischen Therapie wird durch die Bestimmung des Ähnlichen ein Spiegel vorgehalten, der möglichst alle Symptome (Geist, Emotionen, Körper) abdeckt. Auch hier soll wohl überlegt sein, welcher Einsatz der Entwicklung am förderlichsten ist. Bis in welche Tiefen hier Einfluss genommen werden kann, hat Dr. Sankaran hervorragend in seinen Forschungen und Büchern dargestellt. Ein treffender Vergleich ist die Definition von Krankheit als „fremdes Lied“, das in uns
spielt. Alles hat Schwingung. So auch der Mensch, der seinen eigenen Sound mit auf diese Welt inkarniert. In einem jeden von uns spielt aber eine weitere Melodie, die zwar in diese Welt gehört, in uns aber fehl am Platz ist. Mal lauter in Zeiten des Leidens, mal leiser in kraftvollen Schaffens-/Selbstrealisierungsphasen dringt dieses Lied an die Oberfläche.
Gelingt es dieses Lied zu identifizieren, kann durch das Resonanzgesetz der Einfluss bewußt und damit auch abgemildert werden. Das wirkt im weitesten Sinne befreiend und versetzt uns in die Lage Kräfte zu mobilisieren, um zu gesunden. Die alte chinesische Medizin und andere Disziplinen haben Krankheit schon früh als Blockade(n) beschrieben. Hier wird Lebenskraft für einen Status quo aufgehalten, der uns woanders fehlt und an der Gesundung hindert.
Schreitet der Mensch auf seinem Weg der Loslösung voran und mildert dabei den Einfluss innerer Störfelder, kann er sich vollends auf sein Lebenswerk konzentrieren. Dieser Zustand der eigenen Mitte, in der eigenen Kraft zu sein, befähigt dann auch gesund mit akuten Erkrankungen oder adäquat gar mit Schicksalsschlägen umzugehen. Krank und gesund erstrecken sich weitaus tiefer, als dass dies auf den ersten, oberflächlichen Blick zu erkennen wäre.