An der Nase herum geführt _ TTI P schießt den Vogel ab, der uns schon lange vor der Nase herumfliegt.
SALVE-Ausgabe Frühling 2015

An der Nase herum geführt _ TTI P schießt den Vogel ab, der uns schon lange vor der Nase herumfliegt.

Inzwischen ist man ja gewohnt belogen zu werden. Was hat z.B. ein Meeres-Fischerkutter auf der Verpackung von „Louisiana Flusskrebs“ zu suchen, dessen Inhalt aus China‘s Binnenfischerei stammt? Und ‚Binnenfischerei‘ lässt Antibiotika-verseuchte, künstliche Seen vermuten, was auf der Packung mit einem eleganten Schriftzug „Natur“ auszugleichen versucht wird.1 Im Sinne der Deklaration natürlich alles rechtens. Fernost-Urlauber berichten neben Müllbergen voll unserer „gelben Säcke“, von kilometerweit stinkenden Riesenflächen mit knietiefem Wasser, in dem das Exportgut gezüchtet wird.

Ein weniger heftiges Beispiel aus unserer Region: Die Vertriebsgesellschaft mbH „Obst vom Bodensee“ vertreibt ein breites Sortiment an Obst/Früchten. Auf der Internetseite nachzulesen: „Das Bodenseeobst wächst in Deutschlands südlichster Ferienregion.“, was zum Teil der Vermarktung sicherlich zutrifft. Die BayWa AG gibt eine 47,5%ige Beteiligung, ohne genauere Lagebezeichnung an. Und für den Gesamtrahmen: „Die Erzeugung erfolgt vornehmlich im Rahmen der integrierten Produktion und rund 15% unseres Tafelkernobstes stammen aus ökologischem Anbau.“ Öko? -Logisch! Fragt sich nun noch, woher die andere Hälfte stammt. Die VOG Ingelheim (Vereinigte Großmärkte für Obst + Gemüse Rheinhessen eG) wird als weiterer Gesellschafter genannt. Ob jedem Konsumenten der Unterschied zwischen der GmbH und der Botschaft „Obst vom Bodensee“ so klar ist? Wohl dem, der noch einen eigenen alten Apfelbaum im Garten hat.

Vermeintliche Regionalprodukte sind nicht erst durch das geplante Freihandelsabkommen TTIP in Gefahr, sondern bereits heute häufig nicht so regional wie sie erscheinen. Auf Anfrage der Verbraucherorganisation foodwatch bestätigt die Europäische Kommission, dass bereits heute – ohne TTIP – Schweinefleisch aus den USA zu Schwarzwälder Schinken verarbeitet werden dürfte. Und das, obwohl der Traditionsschinken das offizielle EU-Siegel der „geschützten geografischen Angabe“ (kurz g.g.A) trägt.

Es heißt, TTIP untergräbt unsere Demokratie. Das untergrabene Ideal trägt irgendwie noch die Hoffnung auf Ehrlichkeit und Selbstbestimmung in sich. Und tatsächlich: Rund 97 Prozent der teilnehmenden Personen, Verbände und Firmen lehnen Schiedsgerichte zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Staaten und Konzernen ab, so lautet das am 13.01.2015 veröffentlichte Ergebnis einer offiziellen EU-Konsultation zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP. Im Rahmen der europaweiten Befragung zum Investitionsschutzkapitel im geplanten Freihandelsabkommen waren rund 150.000 Eingaben gemacht worden. „Das Ergebnis der Konsultation spricht eine deutliche Sprache: Diese Schiedsverfahren sind eine Gefahr für die Demokratie und in Europa nicht erwünscht. Die EU-Kommission muss ihr eigenes Verfahren ernst nehmen und die Verhandlungen sofort beenden. Das europäisch-kanadische Abkommen CETA, das ein ähnliches Investitionsschutzkapitel enthält,
darf nicht ratifiziert werden“, fordert Karl Bär, Referent für Handels- und Agrarpolitik am Umweltinstitut München e.V.2

Fragt sich nur noch wo hier ‚der Staat‘ beginnt, das Handelsrecht zurücktritt und ob dem Volk tatsächlich noch Entscheidungsgewalt zufällt? Die berechtigte Befürchtung, warum soviel im Geheimen ‚verhandelt‘ wird, ist, dass das Volk gar kein Stimmrecht hat und die Frage allein dem Handel zufällt. Bleibt die Hoffnung, dass uns die Abwendung trotz mangelnder Souveränität gelingen mag, bevor uns jemand die Apfelbäume im eigenen Garten fällt, eine Rechnung dafür stellt und dafür wohlwollend genetisch modifizierte Superäpfel an den Tresen bringt.

1 www.lebensmittelklarheit.de/produkte/buesumer-feinkost-louisiana-flusskrebs

2 Pressemitteilung vom 13.01.2015, www.umweltinstitut.org: Überwältigende Mehrheit gegen Schiedsgerichte in TTIP